Barrierefreies Bauen macht die gebaute Welt besser und einfacher zugänglich. Vom Kind bis zur Seniorin und vom Rollstuhlfahrer bis zur Passagierin mit viel Gepäck profitieren alle davon.
Wer mit Bus, Zug oder Tram fährt, kann heute praktisch immer ebenerdig einsteigen. Das ist eine Folge des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) von 2004. Dieses verlangt, dass Menschen mit Behinderung im Alltag nicht benachteiligt werden dürfen. Vom Komfort der Niederflurfahrzeuge profitieren allerdings nicht nur Menschen im Rollstuhl, sondern alle Passagiere: Der Zugang fällt einfach leichter – insbesondere auch, wenn man einen Kinderwagen schiebt oder mit nachlassender Sehkraft kämpft. Komfortabel sind die neuen Fahrzeuge auch, wenn man nur kurzzeitig eingeschränkt ist, etwa wegen eines verstauchten Fusses.
Zugang für alle: Das ist der Hauptgedanke, der mal als hindernisfreies oder barrierefreies Bauen, mal als «access for all» oder «design for all» bezeichnet wird. Es wird nicht mehr eigens für Senioren, Familien oder Menschen mit Behinderung geplant und gebaut. Stattdessen suchen Architektinnen und Planer Lösungen, die für alle funktionieren. Felix Schärer ist Architekt und Leiter Hindernisfrei Bauen bei der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung SPV. Gemeinsam mit seinem Team plant und realisiert er behindertengerechte Umbauten. Die Unterschiede zwischen einzelnen Personen und ihren individuellen Bedürfnissen sind dabei sehr gross, denn es gibt nicht «die» Behinderung. Gebäude müssen aber von allen benutzt werden können.
So unterschiedlich wie die betroffenen Menschen sind auch ihre Wohnsituationen. Die häufigste und wichtigste Baumassnahme ist ein barrierefreier Zugang zur Wohnung. Bei Bauprojekten mit acht oder mehr Wohneinheiten ist dieser gesetzlich vorgeschrieben, ebenso bei öffentlich genutzten Gebäuden. Der Zugang umfasst die eigentliche Erschliessung, also die Gestaltung von Türen und Vorräumen. Damit die Mobilität im Gebäude erleichtert wird, müssen oft verschiedene Hindernisse beseitigt oder entschärft werden: Schwergängige Türen erhalten einen Motor, enge Durchgänge werden verbreitert oder Treppenstufen mit einer Rampe ergänzt. Beim behindertengerechten Ausbau von Wohnungen sind weitere individuelle Massnahmen notwendig.
Das barrierefreie Bauen wird durch die demografische Veränderung weiteren Auftrieb erhalten. Denn die Schweizer Wohnbevölkerung wird immer älter, und damit wächst der Anteil der Menschen, die in irgendeiner Form eingeschränkt sind. Da die meisten älteren Menschen weiterhin in ihren eigenen vier Wänden leben wollen, muss auch der Gebäudebestand zunehmend barrierefrei werden. Vor der berüchtigten Spitalästhetik, die dem hindernisfreien Bauen lange Zeit anhaftete, muss man sich zum Glück nicht mehr fürchten. Denn die Baubranche hat grosse Fortschritte bei der Materialisierung und Gestaltung gemacht. Somit wird Barrierefreiheit, insbesondere im Neubau, nicht mehr die Ausnahme, sondern schon fast die Regel.
Doch mit der Rollstuhlgängigkeit von Gebäuden ist es noch nicht getan. Damit auch visuell eingeschränkte Menschen die Gebäude sicher nutzen können, braucht es zusätzliche Massnahmen. «Insbesondere die Haptik von Oberflächen ist zentral. Der weisse Stock ist wie ein verlängerter Zeigefinger, über den Informationen ertastet werden», sagt Barbara Schaub von der Fachstelle Hindernisfreie Architektur. So können durch eine unterschiedliche Materialisierung des Bodens beispielsweise Wegstrecken und Wartebereiche unterschieden werden. Markierungen helfen, Treppen, Glasflächen oder Hindernisse zu erkennen. Auch taktil-visuelle Leitlinien, wie sie etwa von Bahnhöfen bekannt sind, helfen bei der haptischen und akustischen Orientierung. In diesem Zusammenhang ist auch die Raumakustik wichtig.
Einfache Mobilität, aussagekräftige Sensorik und zusätzliche Unterstützung sind auch beim hindernisfreien Aufzug zentral. Dank präzisen Steuerungen halten die Kabinen heute an den Haltestellen millimetergenau an. Für eine angenehme Bedienung sollte das Tableau auf der richtigen Höhe angeordnet und idealerweise mit einem Horizontaltableau ergänzt werden. Grosse, kontrastreiche und mit einer Reliefschrift versehene Zahlentasten erleichtern die Bedienung. Ein Handlauf auf mindestens einer Seite gibt geh- und sehbehinderten Menschen zusätzliche Sicherheit. Zudem sollte das Kabinendesign so gewählt werden, dass Reflexionen und verwirrende Spiegelungen, etwa auf Hochglanzoberflächen, vermieden werden. Grossflächige Leuchtdecken sorgen für eine gute und blendfreie Beleuchtung.
Wer barrierefrei bauen will, muss zahlreiche Themen berücksichtigen. Die gesetzlichen Grundlagen und das passende Knowhow sind in der Schweiz vorhanden. Ein Problem stellt zuweilen noch die fehlende Motivation der Bauherrschaften, Architekten oder Planerinnen dar. Doch dagegen gibt es ein einfaches Mittel, wie Barbara Schaub sagt: «Abhilfe schaffen kann eine Sensibilisierungsübung, bei der man selbst in einem Rollstuhl sitzt oder eine Simulationsbrille aufsetzt, um ein Gebäude zu erkunden. Man merkt sofort, welche Bedeutung scheinbar unwichtige Details haben und weshalb das hindernisfreie Bauen für uns alle wichtig ist.»