Architekt und BIM-Experte Andreas Pilot ist überzeugt, dass die Dringlichkeit ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit die Nutzung von Building Information Modeling beschleunigen wird. Auch weil mit digitaler Planung besser interdisziplinär zusammengearbeitet werden kann und sich Aspekte der Nachhaltigkeit fundierter simulieren lassen.
Im Bau habe die Digitalisierung bisher noch kaum Einzug gehalten, sagte der Chef des Werkzeugherstellers Hilti vor wenigen Wochen. Würden Sie dieser Aussage zustimmen?
Andreas Pilot: Bei den Erhebungen zum Grad der Digitalisierung rangiert der Bau als Teil des produzierenden Gewerbes im Vergleich zu anderen Branchen eindeutig auf den hinteren Plätzen. Allerdings wird auch hier in den letzten Jahren eine spürbare Entwicklung festgestellt und die Unterschiede innerhalb der Baubranche sind erheblich – manche Gewerke wie beispielsweise der Holzmassivbau produzieren bereits weitgehend mit digitaler modellbasierter Vorfertigung. Fliesen zum Beispiel werden jedoch noch eine ganze Weile in Handarbeit geklebt werden – während inzwischen wiederum bereits erste Maler- und Bohrroboter über die Baustellen fahren und mühsame Überkopfarbeiten spielend erledigen. Für die digitalisierte Erzeugung physischer Ergebnisse ist der Weg im Vergleich zur digitalen Erzeugung digitaler Ergebnisse selbstverständlich weiter. Es dürfte daher nicht verwundern, dass die IT-Branche seit jeher im Branchenvergleich zur Digitalisierung führend ist.
Warum ist Digitalisierung gut für das Bauwesen?
Die Frage, ob Digitalisierung a priori ein Segen für das Bauwesen ist, lässt sich nicht mit ja oder nein beantworten. Denn: Die Digitalisierung eines schlechten Prozesses führt meist lediglich zu einem schlechten digitalen Prozess. Hier unterscheidet sich Digitalisierung von digitaler Transformation, bei der Prozesse mit allen neuen Möglichkeiten neu designt werden. Building Information Modeling bedeutet einen Paradigmenwechsel von analog zu digital, von 2D zu 3D, von Silodenken zu Kollaboration und steht für digitale Transformation. Die am Anfang des Transformationsprozesses stehenden Investitionen und der Aufwand in der Phase der Parallelität herkömmlicher und neuer Prozesse sind erheblich und vielschichtig. In den letzten Jahren hat sich hierbei in Kombination mit teilweise überzogenen Erwartungen in der Branche durchaus Frustration bzw. die sogenannte «BIM-Fatigue» aufgebaut.
Nun lässt sich aber eine Beschleunigung erkennen. Hält BIM heute, was es verspricht?
Für bestimmte Transformationsprozesse im Bauwesen war Anfang 2023 die Phase des Ausprobierens bereits durchgestanden und der produktive Einsatz digitaler Prozesse findet statt – zum Beispiel bei Betreibern von Gebäuden, innerhalb von ausführenden Betrieben oder auch innerhalb von Planungsbüros. Die Geschwindigkeit nimmt auch deshalb stark zu, da die neuen Methoden zugänglicher geworden sind und nicht mehr nur von Early Adopters, sondern zunehmend auch in der Breite genutzt werden.
Und wie fit ist die Schweizer Bauindustrie in dieser Entwicklung?
Auch in der Schweiz hat die BIM-Nutzung in den letzten Jahren zugenommen, insbesondere bei grossen Bauprojekten. Die Realität zeigt: BIM wird verstärkt eingesetzt, aber auch verstärkt von Bauherrinnen und Bauherren mit vielen Projekten klar gefordert. Einige Kantone, wie zum Beispiel Basel-Stadt oder Zürich, setzen auf BIM in ihren Ausschreibungen und fördern aktiv die Nutzung in der Planung und der Ausführung von Bauprojekten. Auch die SBB schreibt seit 2021 bei Hochbauprojekten mit einem Volumen ab 5 Millionen Franken die Projektplanung mit BIM obligatorisch vor. Das hat eine gewisse Dynamik ausgelöst: Heute gibt es in der Schweiz eine Vielzahl von Schulungen und Weiterbildungsprogrammen, die es Architektinnen, Ingenieuren und anderen Bauprofis ermöglichen, ihre BIM-Kompetenzen zu verbessern.
Kollisionsprüfungen mit 3D-Modellen werden sowieso durchgeführt – warum nicht gleich das Aufzugsmodell mit hineinnehmen, um sicherzustellen, dass zum Beispiel der Raum für den Antrieb genügend gross ist?
Wenn das Planungsteam schon ein 3D-Modell vor sich hat, weshalb macht es Sinn, dass beispielsweise Schindler die 3D-Modelle der Aufzüge noch integriert?
Seit vielen Jahren wird der Aufzug häufig erst richtig bedacht, wenn es um die Ausschreibung und die Vergabe geht. Nicht selten ist der Rohbau dann bereits in der Ausführung. Mit BIM ist es jetzt allerdings viel einfacher, den Liftschacht schon deutlich früher genauer zu behandeln – und Auftraggebende, die BIM fordern, stoppen nicht mehr nach Architektur, Heizung-Lüftung-Sanitär-Elektro und Tragwerk. Kollisionsprüfungen mit 3D-Modellen werden sowieso durchgeführt – warum nicht gleich das Aufzugsmodell mit hineinnehmen, um sicherzustellen, dass zum Beispiel der Raum für den Antrieb genügend gross ist? Gleiches gilt für erforderliche Öffnungen im Liftschacht, die einfach Teil der Schlitz- und Durchbruchsplanung sind. Warum sollten ausgerechnet beim Aufzug gestalterische Fragen zu Türen und Bedienelementen oder technische Fragen zu Brand- und Schallschutz in BIM-Projekten nicht per Modell geklärt werden? Hier greifen der eingangs erwähnte Paradigmenwechsel und die Denkweise gerade gewaltig.
Ein Treiber für die stärkere Nutzung von BIM dürfte die Nachhaltigkeit sein.
Davon bin ich überzeugt. Eine ernsthafte Antwort des Bauwesens auf den Klimawandel als grösste Herausforderung unserer Zeit wird ohne interdisziplinäre und digitale Zusammenarbeit kaum möglich sein. Die Nachhaltigkeit von Gebäuden durchzieht zum einen den gesamten Lebenszyklus von der Errichtung über den Betrieb und Umbau bis hin zum Rückbau. Zum anderen aber auch jedes eingesetzte Material, jeden Baustoff und jedes Produkt mit ihren jeweils wiederum eigenen Lebenszyklen. Eine derart multidisziplinäre übergreifende und gleichzeitig ausgesprochen kleinteilige Betrachtung lässt sich entweder nur ungenau mit groben Schätzungen und Annahmen oder präzise über digitale Methoden realisieren. Gebäudemodelle sind dahingehend die beste Grundlage, setzen aber voraus, dass alle Stakeholder ihre jeweils eigene Disziplin digital gut beherrschen. Denn nur so entsteht die Grundlage, um den eigenen Beitrag in Form von 3D-Modellen auch digital interdisziplinär einzubringen.
Wer nicht auf BIM setzt, scheidet aus – stimmen Sie zu?
Ganz so pauschal würde ich es nicht formulieren – wenngleich die Aussage für bestimmte Bereiche wie beispielsweise Grossprojekte nicht ganz verkehrt ist. Man kann sagen: «Wer nicht auf BIM setzt, reduziert zunehmend die eigenen Möglichkeiten.» Auftraggebende, die BIM fordern, haben inzwischen häufig die entsprechende Kompetenz und Erfahrung aufgebaut und meinen es wirklich ernst. Entsprechend erreichen mich auch immer häufiger Anfragen von Personen und Unternehmen, die sich um einen Auftrag bewerben möchten, aber noch nicht wissen, wie sie die geforderten BIM-Leistungen anbieten bzw. erbringen sollen.
Andreas Pilot (43) ist Architekt, IT-Unternehmer und BIM-Manager. Er leitet seit 2019 an der Technischen Universität Darmstadt das BIM-Studio mit dem Fokus auf Lehre und Forschung zu modellbasierten und interdisziplinären Methoden. Bei verschiedenen Organisationen wie beispielsweise buildingSMART oder der Bundesarchitektenkammer engagiert er sich ehrenamtlich zu BIM und hat das Profi-Netzwerk BIM_ag mitgegründet. Er coacht unter anderem Architektinnen, Bauherren und Unternehmen zu BIM und begleitet die Implementierung digitaler Methoden. Privat geht es für ihn beim Wandern, Segeln und Kitesurfen zur Abwechslung dann aber auch mal ganz analog zu.