Andrea Frangi treibt es gerne auf die Spitze. Als Professor für Holzbau an der ETH Zürich lotet er die Grenzen des Werkstoffs mit brachialer Gewalt aus. Dadurch eröffnen sich immer neue Möglichkeiten des Bauens. Doch der Tessiner warnt auch: Wollen wir viel mehr mit Holz bauen, müssen wir jetzt dafür sorgen, dass bei uns genug davon nachwächst.
Professor Dr. Andrea Frangi, geboren 1971 im Tessin, absolvierte an der ETH Zürich eine Ausbildung zum Bauingenieur und doktorierte «zufällig» zu einem Projekt über Holzbau und Brandschutz. Dem Thema ist er treu geblieben. Nach einem Auslandaufenthalt in Kanada kehrte er an die ETH zurück, wo er sich seither vor allem mit Brandschutz beschäftigt. Seit 2010 ist er Professor für Holzbau am Institut für Baustatik und Konstruktion. Frangi lebt mit seiner Familie in Rüschlikon.
Professor Frangi, lassen Sie uns raten: Sie wohnen in einem Holzhaus.
Das ist eine falsche Annahme (lacht). Ich beschäftige mich heute zwar intensiv mit Holz, aber ich habe das – ganz ehrlich – nicht gesucht. Ich bin als gelernter Bauingenieur da reingerutscht und hängengeblieben, weil das Thema so faszinierend ist.
Was fasziniert Sie denn am meisten?
Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, den Sie einfach aus dem Wald holen können. Es ist leicht, riecht gut und sieht auch optisch schön aus. Ausserdem ist seine Leistungsfähigkeit im Verhältnis zu seinem Gewicht schlichtweg enorm. Was uns die Natur da schenkt, ist ein geniales Baumaterial.
Trotzdem hat man lange Zeit nicht mehr mit Holz gebaut.
Nachdem es immer wieder zu verheerenden Bränden gekommen ist, hat man den Holzbau geradezu verbannt. Sehr zum Leidwesen der Baubranche: Man durfte zwar noch zweigeschossig bauen, sollte der Holzbau aber eine Zukunft haben, war es unabdingbar, höher bauen können. Und da ist das Killerkriterium die Brandsicherheit. Genau daran haben wir intensiv gearbeitet.
Inwiefern?
Unser Beitrag ist die Brandschutzforschung, die wir an der ETH seit 1992 vorantreiben. Auf der anderen Seite hat auch die Branche ihre Hausaufgaben gemacht. So durften wir ab 2005 neu bis zu sechs Geschosse hoch bauen, was einer absoluten Revolution im Holzbau gleichkam. Seit 2015 sind keine Grenzen mehr gesetzt. Wir dürfen nun auch Hochhäuser bauen. Das eröffnet völlig neue Perspektiven und Märkte.
Allein mit der Brandschutzforschung ist das aber kaum erreicht worden.
Natürlich nicht. Sie war einfach die Voraussetzung. Parallel dazu wurden riesige Fortschritte in der Klebe- und Verbindungstechnik und bei den Massivelementen wie dem Brettsperrholz gemacht. Wir haben heute die Technologie, um grosse Gebäude zu bauen.
Wenn wir in der Schweiz von Holzbauten sprechen, sehen wir vor allem die heimelige Version: die traditionellen Chalets. Wie veraltet ist dieses Bild?
Natürlich ist das immer noch das Erste, was uns in den Sinn kommt. Aber wir begegnen in den Städten heute schon vielen Holzgebäuden. Und es werden immer mehr, weil wir in Zukunft Häuser nicht in den Bergen, sondern in den urbanen Zentren brauchen. So wird sich auch unser Bild vom Holzbau ändern.
Dennoch muss ein solides Haus vom Gefühl her aus Stein gebaut sein. Trügt dieses Gefühl?
Völlig! Wenn es so wäre, dürften wir keine hohen Gebäude bauen. Holz erfüllt genau dieselben Anforderungen. «Mass Timber» vermittelt das Gefühl von hoher Tragfähigkeit und Robustheit. Aber auch in diesem Fall ist Holz immer noch leicht, was in den meisten Fällen ein wesentlicher Vorteil ist.
Wird Holz früher oder später Materialien wie Beton und Stahl im Infrastrukturbau ersetzen?
Nein. Dafür reichen auch die Ressourcen nicht. Aber Holz ist die perfekte Ergänzung. Sobald ein Gebäude aus dem Boden herausragt, also nicht mehr mit Feuchtigkeit und Erde in Kontakt ist, lässt sich damit fast alles bauen. Holz ist immer dann eine richtige Wahl, wenn es vor Witterung geschützt ist.
Holz gilt als der ökologische Baustoff schlechthin – zu Recht?
Ich würde mal sagen: Man macht nichts falsch, wenn man mit Holz baut. Es wächst nach, ich brauche wenig Energie, um Bauelemente herzustellen, und das Material lässt sich einfach verarbeiten. Ausserdem bindet ein Kubikmeter Holz nahezu eine Tonne CO2 …
… solange es verbaut ist. Wenn ich es am Ende verbrenne, setzte ich das CO2 wieder frei, nicht?
Das stimmt. Aber das ist in 50 oder 100 Jahren. Wir haben das Emissionsproblem heute. Also macht es Sinn, Emissionen jetzt zu vermeiden. Damit gewinnen wir Zeit. In 100 Jahren haben wir wahrscheinlich eine Lösung dafür. Die erste Frage beim Bauen ist aber ohnehin eine andere, nämlich: Brauchen wir das überhaupt? Erst dann stellt sich die Frage nach den Ressourcen.
Kommen wir noch einmal zurück auf den Brandschutz. Holz ist im Gegensatz zu Beton und Stahl nun mal ein brennbares Material, also potenziell gefährlicher.
Das ist falsch gedacht. Wir dürfen bei einem Gebäude nicht nur auf die Brennbarkeit des Baumaterials schauen, sondern müssen die Brandsicherheit insgesamt betrachten. Dann sind Holzbauten nicht gefährlicher als andere Gebäude.
Können Sie uns das erklären?
Im Brandfall sterben Sie nicht, weil Ihnen eine Holzstütze auf den Kopf fällt, sondern im Wesentlichen infolge von Rauch. Und dafür verantwortlich ist all das, was in einem Gebäude sonst noch massenweise herumsteht: Möbel, Bücher, Textilien. Natürlich brennt Holz, aber der Feuerwiderstand der Tragwerke lässt sich gut berechnen. So können wir die Sicherheit der Menschen, aber auch der Rettungskräfte sicherstellen.
Unsere Arbeit ist immer eine Kombination aus experimenteller Forschung, Computersimulation und physikalischen Modellen.
Ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Forschung sind die Versuche. Was genau tun Sie in Ihrer «Folterkammer für Hölzer», wie Ihre Versuchshalle auch schon bezeichnet wurde?
Ganz einfach gesagt: Wir zerstören dort Holzbauteile. Denn wir belasten die Elemente, bis sie versagen. Ausserdem wollen wir herausfinden, wie sie sich verformen, da die Steifigkeit von Holzbauteilen besonders wichtig ist. Danach beschreiben wir anhand von Modellen, was wir herausgefunden haben. Unsere Arbeit ist immer eine Kombination aus experimenteller Forschung, Computersimulation und physikalischen Modellen. Bei der sogenannten angewandten Forschung entwickeln wir schliesslich – oft zusammen mit Partnerfirmen – auch Elemente für den Holzbau.
Wie beim «Pi» in Zug. Dort entsteht im Auftrag von V-ZUG Immobilien demnächst ein 80-Meter-Holzhochhaus.
Genau. Wir begleiten Unternehmerinnen, Ingenieure, Architektinnen und die Bauherrschaft in diesem Projekt. Hier zeigt sich die Innovationskraft der Schweiz, denn so wie wir hat noch niemand gebaut. Das ist echte Pionierarbeit.
Eine grosse Verantwortung …
Das schon, aber wir gehen keine Risiken ein, denn bei solchen Leuchtturmprojekten arbeiten viele gute Leute mit. Aber es stimmt: Holz ist ein anspruchsvolles Material und man kann leicht Fehler machen. Das wollen wir mit unserer Arbeit vermeiden.
«Pi» wird 80 Meter hoch sein. Das «Rocket» in Winterthur soll noch höher werden. Wann ist das Ende der Fahnenstange erreicht?
Bereits heute sind reine Holzhochhäuser bis 150 Meter geplant. Vielleicht kommen wir tatsächlich so weit. Aber höher geht es wohl bloss in Hybridbauweise, das heisst in einer Kombination aus Holz und Beton oder Stahl. Die Frage ist aber nicht: Wie weit können wir es im Holzbau noch treiben? Sondern: Macht das Sinn?
Und? Was macht Sinn?
Ich meine: Bis auf 30 Meter Höhe sollte man aus Holz bauen. Damit ist der Grossteil der Gebäude in der Schweiz abgedeckt. Es kommt der Branche und dem Klima zugute.
Bauen mit Holz ist nicht nur ökologisch, es gilt auch als Katalysator für das industrialisierte Bauen und die Digitalisierung.
Und das hat eine Menge Vorteile: Die Elemente werden präzise vorproduziert und die Bauzeit wird dadurch extrem kurz. Zudem sind die Lärm- und die Staubbelästigung der Umgebung minimal. Allerdings wird eine rollende Planung, wie sie auf dem Bau sonst üblich ist, unmöglich. Alles muss bis ins Detail im Voraus geplant werden.
Nehmen wir mal an, wir bauen künftig noch viel mehr mit Holz. Können wir den Bedarf überhaupt decken?
Es kommt darauf an, von welchem Bedarf wir sprechen. Zurzeit haben wir einen Marktanteil von zirka 10 Prozent. Wollen wir den verdoppeln, dann geht das. Aber wenn wir alles aus Holz bauen möchten, dann nicht. Die Sicherung des Rohstoffs wird eine wichtige Aufgabe für die Zukunft sei. Wollen wir mit Holz bauen, müssen wir jetzt dafür sorgen, dass bei uns genug davon nachwächst.
Wenn Sie an die Zukunft des Holzbaus denken: Welche Vision würden Sie da gerne verwirklichen?
Was wir jetzt neu bauen, sollte den Nachhaltigkeitsgedanken miteinbeziehen. Wer, wenn nicht das reichste Land der Welt, kann diese Vorreiterrolle übernehmen? Dabei sollten wir uns an der Natur orientieren. Denn die Natur produziert keine Abfälle. Es gibt tatsächlich nichts in der Natur, was man als Abfall bezeichnen könnte. Wenn ich daran denke, was wir Menschen tun, dann können wir noch viel lernen.